Aktuelles
02/2019: Tiergestützte Interventionen
Tiergestützte Interventionen –
Eine Chance für Mensch und Tier
Der
Bereich der „tiergestützten Interventionen“ hat sich in den letzten Jahren
erheblich ausgeweitet. Besonders Therapeuten und Pädagogen setzen zunehmend auf
die positiven Effekte, die Tiere auf uns Menschen haben. Zum Wohle des Menschen
werden Tiere dabei u.a. in Krankenhäusern, Seniorenheimen, therapeutischen
Praxen, Schulen, Kindertagesstätten oder freizeitpädagogischen Angeboten
eingesetzt. Fachleute trennen die Interventionen in die Begrifflichkeiten tiergestützte
Therapie, Pädagogik, Förderung oder Aktivität und verwenden innerhalb dieser
verschiedene Methoden.
Das
Wirkungsspektrum der Tiere auf uns Menschen ist von bio-psycho-sozialer Natur,
also ganzheitlich auf körperlicher, geistiger und sozialer Ebene. Dies kann
eine Stabilisierung des Herz-Kreislaufsystems, die Ausschüttung von
Botenstoffen oder die Mobilisierung der Motorik bedeuten (bio), genauso wie
geistige Anregung durch Gespräche mit Tieren oder über Tiere, Wertschätzung, Angenommen-werden,
Nähe und Geborgenheit erfahren durch Tiere (psycho) oder eine Steigerung der eigenen
Sensibilität, der Wertschätzung und des Empathieempfindens für andere Lebewesen
(sozial), um hier nur einige wenige Punkte zu nennen.
Gerade die Wirkungen im
Bereich der sozialen Talente können eine Chance auch für den Tierschutz
bedeuten, wenn der Dialog über das eine Tier hinaus geht und eine gesteigerte
Empathie des Empfängers im aktiven oder passiven Einsatz für Tiere resultiert, weil eine Verantwortlichkeit
für andere empfunden wird. Dies können auch nur kleine Veränderungen der
Lebens- oder Essgewohnheiten zum Wohle der Tiere sein, jeder Schritt zählt.
Die
am häufigsten eingesetzten Tiere in der tiergestützten Arbeit sind Hunde und
Pferde. Die genannten Effekte lassen sich allerdings durchaus auch mit allen
anderen Tieren erzielen. Grundvoraussetzung ist hier lediglich eine gewisse
Offenheit oder Affinität der Patienten oder Klienten zu den Tieren und ein
artgerechter Einsatz der Tiere unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse. Häufig
und gerne eingesetzt werden kleinere Tiere wie Kaninchen und Meerschweinchen,
da die meisten Menschen sie einfach mögen, schon alleine, weil sie „süß“ sind.
Dies gilt auch für Esel oder Alpakas, deren Haltung zu einer Art Trend geworden
ist. Letztendlich sind tiergestützte Interventionen – abhängig von der
gewählten Methode des Anbieters – mit allen Tieren möglich. Egal ob mit Ziegen
oder Schafen, Achatschnecken oder auch in der der freien Natur mit Vögeln oder
Insekten.
Eine
besondere Chance liegt in tiergestützten pädagogischen Angeboten mit
sogenannten Nutztieren wie Hühnern, Rindern und Schweinen, die bei uns am
häufigsten auf dem Teller zu finden sind. Hier besteht eine gute Möglichkeit,
besonders - aber nicht nur - jungen Menschen neue Perspektiven zu eröffnen, eben
auch diese Tiere als schützenswerte und liebenswerte Lebewesen, die ebenfalls
Bedürfnisse und Gefühle haben, kennenzulernen und wahrzunehmen und nicht nur
die bekannten und beliebten Haustiere.
Es
darf bei all den positiven Seiten und Möglichkeiten der tiergestützten Interventionen
jedoch nicht außen vor gelassen werden, dass auch hier nicht alles Gold ist,
was glänzt.
Die
(kommerzielle) Nutzung von Tieren ist immer auch mit dem Risiko verbunden, dass
die Tiere instrumentalisiert und nicht artgerecht eingesetzt werden. Da all die
Begrifflichkeiten rund um die tiergestützte Arbeit nicht geschützt sind und es
außerhalb des Tierschutzgesetzes keine verbindlichen Qualitätsstandards gibt,
ist es theoretisch erst einmal Jedem möglich tiergestützte Interventionen
anzubieten. Doch der Einsatz der Tiere zum Wohl des Menschen darf nicht auf
Kosten der Tiere erfolgen.
Eine
mangelhafte Ausbildung von Mensch und Tier oder eine unzureichende
Mensch-Tier-Beziehung können zur Instrumentalisierung oder Vermenschlichung, zu
Stress und Überforderung der Tiere führen und sind mit einem erhöhten Risiko
für Tier und Mensch verbunden, ebenso wie ein mangelndes Hygienemanagement.
Besonders
kleinere Heimtiere wie Kaninchen oder Meerschweinchen werden oft mit in
Einrichtungen genommen. Die Transporte bedeuten für die Tiere erheblichen
Stress. Werden sie dann noch als Streicheltiere auf den Schoß gesetzt,
verfallen sie oft in eine Schockstarre, die als Akzeptanz der Streicheleinheiten
fehlinterpretiert wird. Aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes sollten
kleinere Heimtiere daher eher zur Beobachtung mit freiwilliger Kontaktaufnahme (z.B.
durch Futtergabe) im gewohnten Gehege eingesetzt werden, in dem sie auch
ausreichend Rückzugsmöglichkeiten haben.
Auch
angemessene Einsatzzeiten besonders für Schul- oder Besuchshunde werden häufig,
wenn auch unwissentlich, überschritten. Daher empfiehlt sich auch für
ehrenamtliche Besuchsdienste durchaus eine entsprechend qualifizierte Ausbildung.
Die
Ausbildungsangebote im Bereich der tiergestützten Interventionen vermehren sich
stetig, auch Onlinekurse gibt es inzwischen. Die qualitativen (und preislichen)
Unterschiede der verschiedenen Anbieter sind groß. Interessenten sollten sich
daher gut den Umfang und die Inhalte der verschiedenen Ausbildungsinstitute
ansehen. Ein hohes Qualitätsniveau bieten die ISAAT- bzw. ESAAT-zertifizierten
Fachkraftausbildungen (International bzw.
European Society of Animal Assisted
Therapy).
Handelt es sich um eine
gewerbliche Nutzung der Tiere, muss zudem eine Genehmigung nach Paragraph 11
des Tierschutzgesetzes vorliegen. Diese kann bei Veterinärämtern eingeholt
werden. Der Deutsche Tierschutzbund hält die Genehmigung auch bei einer nicht
gewerblichen Nutzung der Tiere für eine wünschenswerte Selbstverpflichtung.
Auch die Richtlinien der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) für
Tiere im sozialen Einsatz bieten eine gute Orientierung für Anbieter
tiergestützter Interventionen.
Exoten und Wildtiere sollten
in der tiergestützten Arbeit aus Tierschutzgründen grundsätzlich keinen Platz
finden, da sie nicht artgerecht gehalten werden können und keine nachhaltigeren
Effekte erzielt werden als mit anderen Tieren auch. Dies betrifft auch die zu
Recht umstrittene Delfintherapie oder z.B. einen „Therapiewaschbären“, der im
letzten Jahr in Russland für Schlagzeilen sorgte. Der Reiz, neue Tiere
kennenzulernen, mag zunächst stärker sein als beim bekannten Hund oder Pferd
und lockt damit eventuell mehr Interessenten, steht aber in keinem Verhältnis
zu der Not, die nicht artgerecht gehaltene Tiere erleiden müssen.
Solange
es also noch keine verbindlichen Qualitätsstandards gibt (und hier dran sollte
dringend gearbeitet werden), liegt es also letztendlich fast ausschließlich in
der Hand der durchführenden Pädagogen und Therapeuten, wie sie mit ihrer
Verantwortung umgehen. Eine qualifizierte Ausbildung, tierartspezifische Sachkunde
sowie die genaue Kenntnis der Bedürfnisse und Stresssignale der einzelnen Tiere
sollten stets Grundvoraussetzung sein.
Darüber
hinaus bietet sich den Fachkräften die Chance, nicht nur für die ihnen
anvertrauten Menschen etwas Positives zu bewirken, sondern darüber hinaus auch
den Tieren, die keine so große Lobby haben, ein Gesicht zu geben und damit
einen kleinen, aber wichtigen Beitrag zu einem großen Ganzen zu leisten -
nämlich anderen Menschen die Achtung und den Respekt vor ALLEN Tieren zu
vermitteln.
Katrin Stoppel
Tierschutzverein Groß-Dortmund e. V.
Mitglied des Gesamtvorstandes des
Landestierschutzverbandes Nordrhein-Westfalen e. V.
02/2019